Manchmal braucht es seine Zeit, bis Innovationen (nicht nur unter Nerds!) an Fahrt gewinnen und Themen voranbringen. Auch beim Thema Decentralized Financing (kurz: DeDi) könnte dies bald der Fall sein. Gestern vor genau fünf Jahren – Happy Birthday! -erblickte mit Etherum eine neue Kryptowährung das Licht der Welt. Ziel des Teams rund um den damals erst 19-jährigen Entwickler Vitalik Buterin war es, eine Technologie zu schaffen, die die Verwaltung von dezentralen Anwendungen in einer eigenen Blockchain ermöglichte.
Sie bildet die Grundlage für die Idee eines dezentralen Finanzsystems, das ohne Banken, Zahlungsdienstleister oder andere Intermediäre auskommt. DeFi verspricht den weiteren Abbau von Bürokratie und der Wegfall des Mittelsmanns. Ein weiterer Vorteil sind zudem die hohen Renditen, die aus DeFi entstehen – vor allem im Hinblick auf die gegenwärtige Null-Zins-Politik im Euroraum.
Hinzu kommt: Dank einer eingebauten Programmiersprache wurden erstmals sogenannte Smart Contracts möglich. Diese wörtlich übersetzten intelligenten Verträge ermöglichen es zum Beispiel, bei einer Transaktion bereits Auszahlungsbedingungen zu hinterlegen, die dann automatisch ohne das Eingreifen Dritter wie einer Bank und ohne Manipulationsmöglichkeiten Dritter ausgeführt werden, wenn die vereinbarten Voraussetzungen erfüllt sind.
„Decentralized Finance kann Mainstream werden, ohne dass die Nutzer das überhaupt mitbekommen.“
Wer also DeFi auf Grundlage von Kryptowährungen betreiben will, braucht ein gutes technisches Know-how oder muss einer DeFi-Plattform vertrauen, denn die technischen Anforderungen an Einzelpersonen sind weiterhin komplex und schwer zu verstehen.
„Decentralized Finance hat enormes disruptives Potenzial und wächst gerade rasant, steckt aber insgesamt noch in den Kinderschuhen – für eine Reihe von technischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Fragen müssen noch passende Antworten gefunden werden“, sagt Patrick Hansen, Bereichsleiter Blockchain beim Digitalverband Bitkom. „Decentralized Finance ist kein konkretes einzelnes Projekt, sondern der Oberbegriff für eine Vielzahl von Ideen und Projekten, die ein neues dezentrales, transparentes und dadurch vertrauenswürdiges Finanzsystem aufbauen wollen.“
Um eine breite und sachliche Debatte anzustoßen und zu ermöglichen, veröffentlicht der Bitkom Verband ein Infopapier „Decentralized Finance – A new Fintech Revolution?“ (Link zum Download: https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/Decentralized-Finance-A-new-Fintech-Revolution)
Wir sprechen mit den beiden Autoren des Papers, Julian Grigo und Patrick Hansen, über die Bedeutung von DeFi für die etablieren Player, über den Sprung in den Massenmarkt, sowie über Europas tragende Rolle in der weiteren Entwicklung.
Der Bitkom hat ein Paper zum Thema DeFi veröffentlicht: Was war der ausschlaggebende Grund hierfür?
Patrick: Die Entwicklungen der letzten zwei, drei Monate – das DeFi Investmentvolumen hat sich in kurzer Zeit vervierfacht – haben das Thema in den Vordergrund der Blockchain Community katapultiert. Und plötzlich setzen sich auch Personen aus dem klassischen Finanzsektor oder der Politik damit auseinander. DeFi ist mehr als komplex, blutjung, und man wird schnell von einer Fülle an Informationen erschlagen. Wir wollen allen mit diesem Paper einen Einstieg in das Thema ermöglichen und einen Grundbaustein für zukünftige Bitkom-Diskussionen dazu legen.
Decentralized Finance (kurz: DeFi) war bis vor einiger Zeit als Begriff noch total unbekannt. Ändert sich das allmählich?
Julian: Aber wie! Hochwertig produzierte Podcasts, Blogs und Newsletter sprießen aus dem Boden. Der Ethereum-Erfinder Vitalik äußert sich zunehmend zum Geschehen im DeFi-Bereich, große Player aus dem CeFi Bereich, „centralized finance“ – damit sind Kryptobörsen wie Bison, Coinbase und Kraken gemeint, machen viel education zu den einzelnen Protokollen, der omnipräsente VC-Fond a16z legt mit seinem Crypto-Fund-2 einen besonderen Fokus auf DeFi-Projekte und, siehe da: der größte Digitalverband Europas hat zu Ethereums 5. Geburtstag ein Whitepaper veröffentlicht. Wenn das mal kein Zeichen ist.
Warum sollte man sich spätestens jetzt mit dem Thema DeFi auseinandersetzen?
Patrick: Die aktuellen Wachstumsraten (und auch Renditen) sprechen eine da deutliche Sprache ;) Klar, es ist nicht alles Gold was glänzt, DeFi ist momentan noch von enormer Spekulation geprägt und viele der existierenden Decentralized Apps (DApps) werden den Sprung in den Massenmarkt nie schaffen. Trotzdem: DeFi hat schon jetzt gezeigt, welche Vorteile es bietet – geringe Gebühren, offener Zugang, schnelle Abwicklung, transparente Konditionen. Das Ganze hat riesiges Potenzial, das kann man bisher noch kaum richtig fassen.
Für wen oder bzw. welche Zielgruppe wird das Thema überhaupt interessant?
Julian: In erster Linie ist das für alle interessant, die bereits digital assets halten, ganz besonders, wenn man Ether oder solche digital assets hält, die auf Ethereum basieren (ERC-20 token u.a.), denn nun gibt es die Möglichkeit, diese assets für sich arbeiten zu lassen (Maker oder Compound), Preisbewegungen zu hebeln, Ether dezentral gegen andere token zu tauschen (Uniswap) und vieles mehr.
Wir sind aber auch davon überzeugt, dass sich etablierte Player aus dem Bankenmarkt unbedingt frühzeitig mit den unfassbaren Möglichkeiten von DeFi beschäftigen sollten. Erste Kryptobörsen (wohlbemerkt „zentralisierte Unternehmen“) nutzen die Dai savings rate (DSR), also die Möglichkeit, mit dem für Kunden verwahrten stablecoin DAI in einem Smart Contract Zinsen zu verdienen. Das ist vergleichbar mit Banken, die (vor dem Negativzins) mit den Einlagen ihrer Kunden Geld verdienten.
Und dann sollten sich unbedingt alle Fans von Innovationen im Fintech-Bereich schnell das Meta-Mask-Plugin installieren und ein paar Dinge selbst ausprobieren. Das ist super spannend und erklärt mehr als tausend Worte!
DeFi ermöglicht so genannte Smart Contracts, das heißt, Auszahlungsbedingungen können ohne Banken oder Dritte definiert werden. Was heißt das konkret für die Bankenlandschaft bzw. wie wird sich die Finanzbranche entwickeln müssen?
Patrick: Die Vision von DeFi ist es, jegliche Finanzdienstleistungen über Smart Contracts zu automatisieren und zu dezentralisieren, egal ob Kreditgeschäft, Versicherung, oder Währungshandel. Für Banken bedeutet das erstmal ganz grundsätzlich noch mehr Wettbewerb im ohnehin schon umkämpften Markt. Der Digitalisierungs- und Innovationsdruck wird nochmal zunehmen – und die klassische Finanzbranche wird sich auf diese Entwicklungen einstellen müssen.
Niemand glaubt, dass es in einem DLT-basierten zukünftigen Finanzmarkt keine Banken oder Intermediäre mehr geben wird. Aber die Karten werden neu gemischt und es kristallisieren sich neue Rollen heraus. Schon jetzt formt sich in Deutschland mit dem Kryptoverwahrgeschäft eine neue zentrale Finanzdienstleistung für dezentrale Werte – über 55 Unternehmen möchten im Herbst die neue BaFin Lizenz dazu beantragen.
Wagen wir einen Blick in die Glaskugel: Wie ist eure Einschätzung? Wann wird das Thema DeFi Mainstream sein und welche nächsten Schritte müssen nun gegangen werden?
Julian: DeFi kann Mainstream werden, ohne dass die Nutzer das überhaupt mitbekommen. Wir alle nutzen täglich das Internet – aber wohl nur die wenigsten kennen sich mit Protokollen wie TCP/IP und HTTP aus. So ähnlich wird es mit DeFi-Protokollen sein. Sie werden in den Hintergrund rücken, während der Mainstream Nutzer einfach zu bedienende Frontends sieht. Ganz wie André im Podcast immer meint: Vieles im Banking wird zur Infrastruktur. Im DeFi-Ökosystem spricht man von der „protocol sink thesis“. Das Team von Bankless hat das wunderbar in diesem Blog-Beitrag erklärt: https://bankless.substack.com/p/global-public-goods-and-the-protocol
Wer sind die entscheidenden Akteure innerhalb dieser Szene und wer hat die Kraft, der GameChanger zu werden?
Patrick: Da gibt es einmal natürlich die DeFi Applikationen selbst, Maker, Lendf.me, Curve und hunderte weitere. Diese sind oft eng miteinander verwoben (super illustriert im neuen Consensys DeFi Report) und gerade die großen wie Maker haben eine wahnsinnige Bedeutung für die Stabilität des ganzen DeFi Ökosystems. Ein Ausfallen des DAI Stablecoins z.B. hätte dramatische Folgen.
Daneben sind die großen zentralen Kryptobörsen wichtige Akteure. Sobald sie bestimmte DeFi Token in ihr Börsen-Listing aufnehmen, explodieren die DeFi-Werte. Aber auch klassische VCs, traditionelle Börsen und nicht zuletzt die zugrundliegenden Blockchain Protokolle wie Ethereum sind wichtige Bausteine und potenzielle GameChanger.
Was interessiert euch persönlich am Thema DeFi?
Julian: Das modulare Ineinandergreifen verschiedenster Puzzle-Teile. In DeFi, da nicht reguliert und womöglich auch gar nicht zu regulieren, wird das wahr, was wir in der Fintech-Szene seit Jahren mit Open-Banking herbeisehnen. Faszinierend ist auch die Geschwindigkeit, in der neue Protokoll entstehen, wie zum Beispiel dezentrale Börsen wie Uniswap, die schnell unfassbar viel Liquidität akkumulieren etc. Aber an dieser Stelle möchte ich auch noch einmal unterstreichen, dass die Technologie noch sehr jung ist, hohe Risiken bestehen und die Tatsache, dass wirklich dezentrale Protokolle kaum regulierbar sind, natürlich das level-playing-field nicht unterminieren dürfen. Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung für regulierte Unternehmen, Gesetzgeber und Aufsicht.
Wo steht Deutschland international in seiner Auseinandersetzung mit dem Thema DeFi?
Patrick: Deutschland gehört zu den internationalen Blockchain-Hotspots. Nicht zuletzt wurde der Grundbaustein für DeFi, die Ethereum Blockchain, genau gestern (30.7.) vor fünf Jahren aus Berlin heraus gelauncht. Die DeFi Applikationen selbst werden meist aus den USA heraus entwickelt, um dann nach und nach dezentralisiert zu werden. Entscheidend ist für den Standort aber vielmehr, wie viele Personen und Unternehmen sich schon jetzt intensiv mit DeFi auseinandersetzen, die Applikationen nutzen und in ihre Prozesse, Produkte und Dienstleistungen integrieren. Ich bin optimistisch, dass wir hier in Deutschland und Europa eine tragende Rolle spielen werden. Einerseits, weil Dezentralität, Transparenz und Datensouveränität perfekt zu unserem europäischen Credo in Digitalfragen passen. Andererseits, weil wir hier schon jetzt mit fortschrittlicher Regulierung im Krypto-Bereich den Weg ebnen für einen zukünftigen rechtssicheren DeFi Markt.
Völlig offen sind noch Fragen zum Thema Regulierung. Wie sollten sich etablierte Finanzdienstleister positionieren und welche Rolle spielt die staatliche Aufsicht?
Julian: Bei aller Komplexität von DeFi ist die Frage nach Regulierung die schwierigste! Patrick und ich haben beim Erstellen des Papiers häufig genau hierüber gesprochen. Ich bin der Meinung, dass, so wie das Internetprotokoll selbst nicht reguliert ist und auch Bitcoin nicht zu regulieren ist, so werden auch alle dezentralen DeFi-Protokolle nicht zu regulieren ein. Aber: Unternehmen, die auf dem Internetprotokoll Dienstleistungen anbieten wie eCommerce oder Social Media Plattformen, die sind reguliert. Und im Falle von Bitcoin zeigt die GwG-Novelle, die den Tatbestand der Kryptoverwahrung einführte, dass auch hier Unternehmen, die Bitcoin kommerziell verwahren, reguliert werden. Ich glaube für DeFi-Protokoll wird es ähnlich sein: Sie selbst können nicht reguliert werden. Baut ein Unternehmen aber ein Frontend, das im Hintergrund die DeFi-Legosteine zusammensetzt, dann wird dieses Unternehmen reguliert werden müssen – sofern es nicht, wie die Argent-App, selbst wieder dezentral ist. Ich weiß… das ist herausfordernd für alle! Aber wir beim Bitkom werden uns für ein level-playing-field einsetzen, das die Vorteile von DeFi nutzen lässt, aber Risiken adressiert und fairen Wettbewerb ermöglicht. Wir hoffen, dass möglichst Viele unser Paper lesen, damit genau diese Debatte an Fahrt gewinnt.
Zu den Interviewpartnern:
Patrick Hansen
Patrick Hansen ist beim Digitalverband Bitkom Bereichsleiter für Blockchain. Er entwickelt Formate zur Vernetzung von Blockchain-interessierten Unternehmen, begleitet die Politik bei der Etablierung von rechtlichen Rahmenbedingungen für die junge Technologie und beobachtet und diskutiert aktuelle Marktentwicklungen und Use-Cases, beispielsweise im Rahmen vonStudien, Leitfäden und politischen Stellungnahmen. Zuvor war Patrick Hansen Referent für Startups beim Bitkom. Er hat Wirtschaft und Politik studiert und sammelte Erfahrungen bei einem Startup-Investor und im Europäischen Parlament.
Julian Grigo
Julian Grigo leitet seit drei Jahren den Bereich Digital Banking & Financial Services des Bitkom. Er baute den Tech-Verband gemeinsam mit sehr engagierten Fintech-Gründern zur ersten Anlaufstelle für Politik und Medien, wenn es um Fragen rund um Fintechs geht, aus. Im Bitkom sind mehr als 50 größtenteils hochskalierte Fintechs, etwa 15 Privat-, Förder- und Großbanken und zahlreiche Dienstleister im Finanzmarkt organisiert. Julian hält einen Masterabschluss in Psychologie, kommunizierte bis 2017 für einen Bankenverband und sammelte zuvor in Unternehmensberatungen, einer Treasury-Abteilung einer Bank und in einem Lobbybüro einer Großbank in Brüssel Erfahrungen in Finanzwelt und Politik.