Die WOW-Momente oder kundenzentrierte Lösungen

Die WOW-Momente oder kundenzentrierte Lösungen

Als Leser und Zuhörer von Payment & Banking kann man es vermutlich nicht mehr hören, wenn wir immer wieder gebetsmühlenartig mit der Phrase “vom Kunden her denken” daher kommen. Warum das aber wichtig ist und das den Unterschied macht, zeige ich hier anhand von Beispielen der letzten Wochen.

In jeglicher Produktentwicklung – egal ob in der Herstellung physischer Produkte, Softwareprodukte oder selbst bei Entertainment-Produkten – strebt man immer die sogenannten WOW-Momente an. Der Moment passiert dann bei den Produkten, wenn die Liebe zum Detail und die Obsession mit Kundenfokus beim Endkunden ankommen und dieser das Gefühl bekommt “Hey, da hat einer tatsächlich an mich gedacht”. Das äußert sich in einem Extrem, zum Beispiel bei Sir Jony Ive, wenn er mit seiner einmaligen Art über die Details der Herstellung von Apple Produkten schwärmt.

Das erste iPhone war designtechnisch eine Offenbarung und als Endkunde fragte man sich, warum man zuvor eigentlich beleidigt wurde, mit diesen anderen Formen für ein Telefon. Oder nehmen wir den unbekannten Helden, der bei Netflix den “Skip Intro”-Button implementiert hat. Jedes einzelne Mal wenn ich eine TV-Show auf Netflix anschaue, sehe ich den Button und denke mir “Wer auch immer Du bist, Danke.”

Die WOW-Momente oder kundenzentrierte Lösungen

Selbst bei sonst so oft gescholtenen Automobil-Herstellern gibt es noch so etwas. Jetzt kommt nicht die Obsession von Dr. Piech mit Spaltmaßen, auch wenn mir jedes Mal das Gruseln kommt, wenn ich mir die Spaltmaße eines Teslas angucke.

WOW-Moment im VW Golf

Ich saß tatsächlich in einem neuen VW Golf (dank einer der CarSharing Anbieter) und wollte “wie immer” das Auto auf mich einstellen und damit auch die Außenspiegel (das Thema Personalisierung und Sharing Economy ist, eine Dekade nach dem Hype, immer noch nicht ansatzweise gelöst). Also stellte ich die Fahrerseite ein und, oh Wunder, hatte sich die Beifahrerseite analog mitbewegt. Echt jetzt? Wieso zum Henker passiert sowas erst 2019 ?!?! Das ist genau einer dieser WOW-Momente. Mit dieser Funktion im Golf hat VW “single-handedly” jedes andere Auto im CarSharing Bereich zu “Müll” degradiert, weil ich dort den doppelten Aufwand habe.

Ähnliche WOW-Momente erfährt man ab und an auch in unserer Branche. Liebe BankerInnen und HaterInnen: Ihr könnt jetzt entweder aufhören zu lesen oder einmal tief durchatmen und den Rest des Artikels als Ansporn (oder freie Beratung) betrachten. Ich hatte in den letzten Wochen einige dieser WOW-Momente bei “FinTechs”. Im Nachfolgenden werde ich einen dieser Momente beschreiben und im Vergleich zu nicht kundenzentrierten Lösungen stellen.

WOW-Moment in der Revolut-App

Vor Kurzem bekam ich von meiner Revolut-App (Revolut steht hier stellvertretend für viele NeoBanken) eine Notification, dass der Pfund- zu Euro-Kurs gerade günstig wäre (dies ist übrigens einer der Wege wie man die Aktivität von Endkunden erhöht, liebe Banken !!). Also rauf auf die Notification, schon lande ich im Kursverlauf und bekomme also die visuelle Bestätigung in Form einer Kurve, dass die Nachricht kein Humbug war.

Die WOW-Momente oder kundenzentrierte Lösungen

Mit einem weiteren Klick bin ich in meinem Pfund-Wallet und kann dieses per Google Pay aufladen. Meine default-Zahlungsmethode bei Google Pay ist die Revolut-Karte und des weiteren ist mein PayPal-Konto hinterlegt. Ich klicke also auf Aufladen und schwups bin ich fertig. ACHTUNG – Sie haben gerade den ersten WOW-Moment überlesen!

Nochmal – ich habe bei Google Pay Revolut als default hinterlegt und ich konnte OHNE eine Fehlermeldung und OHNE dass ich als Kunde damit belästigt werde innerhalb von Google Pay auf PayPal zu wechseln, einfach nur zahlen! Das ist NICHT das default-Verhalten, sondern da hat einer genau über diesen Use Case nachgedacht und entschieden MEHRAUFWAND zu betreiben, um mir diese Frustration zu ersparen.

Zufriedener Kunde

Weiter geht‘s. Einen Moment nach dem Klick auf “Geld hinzufügen” erhalte ich die Nachricht von PayPal über meine Zahlung und auf dem Wallet ist mein neues Geld schon verfügbar. Ein paar Minuten später gehe ich per Zufall in mein E-Mail-Konto und sehe zwei (huch) Nachrichten von PayPal. Die Erste ist das E-Mail äquivalent der Transaktions-bestätigung und die Zweite ist der nächste WOW Moment.

Die zweite Nachricht ist auf den ersten Blick verwirrend und sieht aus als ob es eine Korrektur-Buchung wäre – und sie ist es auch. Denn Revolut hat bei meiner Zahlung nicht etwa eine direkte Zahlung ausgelöst sondern über Google Pay wie bei einer Kreditkarte erstmal “nur” den erforderlichen Betrag autorisiert / reserviert und erst bei der Durchführung der echten Transaktion (Pfund kaufen) dann den Betrag belastet. In dieser klitzekleinen Zeitdifferenz hat sich nun aber der Kurs des Pfund zu meinen Gunsten verändert und diese etwas unleserliche E-Mail von PayPal informiert mich gerade darüber, dass Revolut gerade 7ct weniger belastet als das was sie eigentlich reserviert autorisiert haben.

WOW Nummer 2. – da hat eine Bank (Neobank) jetzt tatsächlich mir als Kunden den absoluten Monsterbetrag von 7ct WENIGER in Rechnung gestellt statt sich den in die EIGENE Tasche zu stecken und damit ihre eigene Marge zu optimieren?? So und jetzt raten Sie mal, wer jetzt ein noch zufriedenerer Kunde von Revolut ist und wer ab sofort (wenn das nicht eh schon der Fall gewesen wäre) Fremdwährungen über diese App kauft?

Die WOW-Momente oder kundenzentrierte Lösungen
Kundenzentrische WOW-Momente

Genau das ist das Ziel von solchen kundenzentrischen WOW-Momenten. Sie sind vertrauensbildend (was laut Bankern ja dort inhärent sowieso da ist – lach), sie lassen im Umkehrschluss alles Bekannte und Vergleichbare (sprich meine normale Banking App) wie “Müll” aussehen (siehe VW-Außenspiegel) und haben somit gerade das Niveau des Endkunden von “akzeptabel” auf die nächste Stufe gehoben.

Am Beispiel „Außenspiegel“ heißt das, ich kann nie wieder in ein Auto einsteigen und den Außenspiegel einstellen ohne entweder enttäuscht zu werden (Stimme in meinem Kopf: “Was ist das hier für ein Müll, warum bewegt sich der sch** Beifahrer-Außenspiegel nicht mit?”) oder bestenfalls gleich zu ziehen (Stimme in meinem Kopf: “Ach guck, hundert Jahre später hat dieser Hersteller das auch hinbekommen mit dem Außenspiegel – sarkastischer Applaus”).

Das zweite Mal, wenn ein Endkunde den gleichen WOW-Moment bei einem anderen Anbieter hat, sorgt nur dafür, dass man maximal als gleichwertig aber sicherlich nicht als besser wahrgenommen wird. Egal wie viele Anbieter dies nicht anbieten können: Der Endkunde hat bereits einmal den WOW-Moment erfahren. Das ist der Grund warum sämtliche me-too-Produkte komplette Zeit- und Ressourcen-Verschwendung sind. Me too heißt in Endkunden-Wahrnehmung genauso viel wie, das was ich seit Zeitraum X ERWARTE, ist die UNTERSTE Grenze in der Erwartungshaltung!

Nischen-Use-Case

Stellen wir diese Erfahrung in Kontrast zu meiner traditionellen Bank. Jeder der mir zugehört hat oder mich hat sprechen sehen weiß, welches meine traditionelle Bank ist, daher erspare ich mir hier den Namen der Blaubank zu nennen.

Die Red-Dot-Award ausgezeichnete mobile Banking-App meiner traditionellen Bank hat überhaupt keine entsprechende Funktion mich über FX-Kursschwankungen zu informieren. Nicht etwa weil es so etwas nicht gäbe oder ich als Kunde nicht ganz offensichtlich daran interessiert wäre. Ich hab bei der Bank mehrere Währungskonten (aus dem Trading), besitze eine sogenannte “TravelCard” (Kreditkarte ohne Auslandsgebühren) und in meinem Bankkonto findet man auch etliche Sortenkäufe (Bankersprech für Fremdwährungskauf).

„Die Red-Dot-Award ausgezeichnete mobile Banking-App meiner traditionellen Bank hat überhaupt keine entsprechende Funktion.“

Naja sei‘s drum, es gibt also keinen FX-Alarm. Aber im Moment habe ich doch Fremdwährungskonten und diese super tolle, ausgezeichnete App kann doch auch Mobile Payment – hieße das im Umkehrschluss jetzt, dass ich im Ausland zum Beispiel mit dem Guthaben auf meinem Fremdwährungskonto zahle?

ROFLPMP -Rolling On The Floor Laughing (while) Peeing My Pants.

Genau. Auf die Idee ist vermutlich noch nie im Leben jemand gekommen (ja, lieber skeptischer Banker, es ist ein Nischen-Use-Case). Die Idee, zwischen dem Mobile Payment in der App ein Multi-Währungs-Wallet zu schalten, was wirkliche JEDE Neobank seit JAHREN macht, war offensichtlich auch nicht offensichtlich genug. Über den Teil mit der Abrechnung der Fremdwährung und dem NICHT Einsacken der Differenz als Marge brauchen wir uns ebenfalls nicht zu unterhalten.

Fehlende Kunden-Fokussierung

Meine traditionelle Bank hätte seit JAHREN die Möglichkeit gehabt, nicht eine analoge sondern eine BESSERE Funktionalität anzubieten, die ihr mehr Alltagsrelevanz gegeben, mein Vertrauen „bestätigt“ und mich als Kunden “versaut” hätte, weil ich diese Funktionalität dann erwartet hätte. Aber weil meine Bank in Produkten sowie in Kategorien wie „Was ist machbar?“ und „Was ist Kosteneffizient?“ denkt und nicht den Fokus auf dem Endkunden hat, wird die App nie genutzt. Über Vertrauen reden wir lieber auch nicht und auch die nächsten hundert Design-Auszeichnungen werden sie nicht auf das gleiche Niveau einer Neobank heben.

DAS ist der Effekt von WOW-Momenten. Es gibt keinen DIREKTEN ROI aber der indirekte ROI ist zerstörerisch für die Konkurrenz. Deshalb zum tausendsten Mal, liebe Banker: keine me-too-Produkte sondern endlich kundenzentrierte Lösungen mit eingebauten WOW-Momenten, schließlich und endlich zahlen WIR Endkunden eure Boni!

Autor

  • Rafael Otero ist seit mehr als 15 Jahren im Payment- und Banking Bereich tätig. Nach mehreren Co-Founder Rollen im Fintech Bereich u.a. als Co-Founder bei payleven der globalen Kartenakzeptanz-Lösung für KMUs und Co-Founder Voice First – einer Strategie-Beratung / Agentur für Sprachassistenz-Lösungen im Bereich Finanzdienstleistungen, Mobility und VoiceCommerce.

    Seit Anfang 2020 ist er Managing Director bei der Deutschen Bank und dort als Chief Product Officer Teil der Corporate Bank. Rafael ist Business Angel/Board Member im Fintech und DeepTech-Umfeld.

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