Genüsslich berichten zahlreiche Medien gerade über die Methoden, mit denen das Insurtech Wefox seine Zahlen aufgebläht haben soll. Und wer die Artikel liest, wittert einen regelrechten Skandal. So furchtbar ist das alles nicht, wirft aber zwangsläufig ein schlechtes Licht auf die Start-ups – das ist das eigentliche Problem.

Wer Glück hat, findet auf der Leitmesse der Finanzindustrie DKM noch Maklerbetreuer:innen aus der Zeit direkt vor und nach der Finanzmarktkrise. Einen Veteranen, der dann lachend und mit verklärtem Blick die „guten alten Zeiten“ wieder aufleben lässt. Das sich so modern gebende Insurtech Wefox scheint offenbar einen Rückgriff auf ziemlich altbackene Methoden getan zu haben.

Der Vorwurf gegen Wefox lautet schlicht auf Trickserei

In unserem aktuellen Fintech-Podcast sagt Jürgen Geuter an einer Stelle, dass seiner Ansicht nach jegliche Regulatorik aus Blut entstanden ist: Menschen wurden finanziell geschädigt. Und er hat ohne Zweifel recht. Das wissen auch die besagten Veteranen.

Wer sich die Zeit nimmt und aus dem Versicherungsvertragsgesetz ableitet, was wohl einmal alles ging, um heute verboten zu sein, dürfte sich wundern.

Ja, es gab sie, die Vertriebsmitarbeiter, die Namen von Grabsteinen abschrieben, um die Namen auf Anträge zu schreiben. Es gab sie, die Anträge, in denen völlig freiwillig Personen (vorzugsweise mit Migrationshintergrund) zum teuersten Tarif eine private Krankenversicherung oder Zusatzversicherung abgeschlossen hatten.

In der Ausgabe 2 des Jahres widmet sich die Capital nun sehr ausführlich dem Geschäftsgebaren von Wefox. Weil es natürlich so schön klickt, werten anderen Medien das dann zum Skandal auf oder sehen Wefox-Chef Julian Teicke schon fallen.

Nichts mit Disruption – eher ganz Oldschool

Konkret geht es im Artikel zum zwei Vorwürfe.

Zum einen sollen im Rahmen einer inzwischen nicht mehr bestehenden Kooperation Versicherungsleistungen verkauft worden sein, ohne, dass die Kund:innen diese überhaupt kannten. Mit dem Ergebnis, dass sie auch keinen Schaden meldeten. Das wiederum senkt die Schadenquote auf sensationelle Werte und tut den Provisionen gut.

Das ist moralisch unfein, aber mit Sicherheit gab es im Kleingedruckten entsprechende Hinweise. Aber wer liest schon das Kleingedruckte, noch dazu, wenn er vielleicht in der deutschen Sprache nicht so sattelfest ist?

Der zweite Vorwurf: Das Wachstum des Unternehmens soll in erster Linie durch Zukäufe und Übernahmen entstanden sein. Und zwar durch die Übernahme ganz traditioneller Vertriebsorganisationen. Also eher nichts mit Disruption, sondern gekauftes Kundenpotential.

Das erklärt wenigstens, wieso Wefox ein so großes Wachstum melden konnte, wie es meldete, während sich der Markt eher erstaunt die Augen rieb, weil niemand jemand kannte, der darüber Abschlüsse in nennenswertem Umfang generierte. Wefox fand auf dem Versicherungsmarkt eigentlich bisher kaum statt – bei einer Bewertung von 4,5 Mrd. Dollar.

Nur ein Skandal ist das nicht. Denn solche kleinen und manchmal auch großen Zusammenschlüsse und Übernahmen gehören zur Wachstumsgeschichte auch klassischer Vertriebe. Größere Kundenbasis = mehr Bestandsprovision + bessere Konditionen beim Produkteinkauf.

Julian Teicke steht fest auf dem Sockel der eigenen Selbstherrlichkeit. Indes sollte ihn die Häme kaum überraschen. Jemand, der stets betont, dass man binnen der kommenden Jahre die absolute Nummer eins der Versicherungswelt wird, stößt halt andere vor den Kopf. Zumal, wenn die vorher herausposaunte Traktion und Disruption unter der Wahrnehmungsschwelle lag.

Schaden für die Insurtech-Branche

Auf den ersten Blick ist das alles nun unschön, vielleicht ein wenig zweifelhaft, aber so schlimm auch nicht. Jedenfalls aus der Perspektive von Wefox. Für die Branche selbst hingegen schon.

Kapitalgeber sind derzeit ohnehin nervös, die Fundings der vergangenen Monate bewegen sich schon auf einem deutlich abgeschwächten Niveau und erste Stimmen aus tradierten Gesellschaften erklären den ganzen Zinnober mit der Disruption für beendet.

Wenn dann einer der wenigen klingen großen Namen sich im Kern dermaßen entzaubert, dass der Kaiser zwar nicht ganz nackt ist, aber kräftig friert, fällt das auf alle anderen Start-ups zurück. Denn Vertrauen schafft das leider nicht.

Die anderen Insurtechs kämpfen mit viel Herzblut und vielen Ideen um ihren Durchbruch auf dem Weg zur Profitabilität. Und ihnen hat Julian Teicke geschadet – diesen Vorwurf muss er sich nun einmal gefallen lassen.

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