Bedenkenträger und Lobbyisten versuchen, FIDA auszubremsen, mit Verweis auf mangelndes Kundeninteresse. Warum das zu kurz gedacht ist – und was die Kunden wirklich wollen.
Willkommen zu der kuriosen Pattsituation rund um Open Finance, der nächsten Herausforderung für die digitale Wirtschaft der EU – und einem der derzeitigen Hauptargumente von Lobbyisten, die Open-Finance-Regulierung (aka. FiDA) derzeit mit einer bewährten Argumentation entgegentreten: Es gibt keine Marktnachfrage dafür.
Wenn eine Lobbygruppe sagt, es gebe „keine Nachfrage“, bedeutet das in Wirklichkeit: „Wir wollen nichts ändern.“ Das ist das gleiche Spiel, das einst gegen Online-Banking, kontaktloses Bezahlen und – mein persönlicher Favorit – den Sicherheitsgurt angewendet wurde. Für Open Finance wird es keine Demo geben, keine Menschen, die mit Plakaten dafür auf die Straße gehen, ihre Finanzdaten zu teilen.
Nicht jede Innovation, die wirtschaftlichen Mehrwert schafft, wird vom Markt nachgefragt, sonst würden wir uns heute wahrscheinlich noch hauptsächlich per Pferd fortbewegen. Innovation benötigt aber oftmals einen Kickstarter, um sie auf den Markt zu bringen, einen Rahmen, der sie ermöglicht. In diesem Fall braucht es Regulierung, um den Markt zu kreieren. Auftritt FIDA, die Verordnung über den Zugang zu Finanzdaten.
300 Milliarden Euro Mehrwert durch Open Finance
FIDA zielt darauf ab, einen harmonisierten Rahmen für den Datenaustausch im gesamten Finanzsektor der EU zu schaffen, die Silos von Banken, Versicherungen, Renten und Investitionen aufzubrechen und Verbrauchern und Unternehmen Zugang zu allen ihren Finanzdaten an einem Ort und zu ihren Bedingungen zu ermöglichen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten mit wenigen Klicks Hypotheken vergleichen, Renten zusammenlegen oder Ihre Ausgaben über verschiedene Konten hinweg budgetieren. Keine 14-seitigen PDF-Dateien aus dem Jahr 2009 mehr, die schwer verständlich und fast unmöglich zu verarbeiten sind.
Open Finance hat heute mehr Marktpotenzial, als Open Banking bei seiner Einführung hatte. Als Open Banking Realität wurde, war es eine Idee, die ihrer Zeit voraus war – mutig, vielversprechend, aber konfrontiert mit einem Publikum, das noch unerfahren darin war, seine Finanzen digitalen Tools anzuvertrauen. Heute ist die Bühne bereitet: Verbraucher nutzen aktiv digitale Wallets, Fintech-Apps und KI-gestützte Beratung, APIs sind robust, effizient und praxiserprobt, und der Wunsch nach finanzieller Kontrolle ist greifbar. Unternehmen und Regulierungsbehörden haben erkannt, dass die Freigabe von Daten nicht nur Compliance-Anforderungen erfüllt, sondern echte wirtschaftliche Chancen eröffnet. Open Finance ist nicht nur bereit für den Markt, der Markt ist bereit für Open Finance.
Die EU-Wirtschaft könnte den Schub gebrauchen. Studien zeigen, dass Open Finance alleine in UK einen wirtschaftlichen Gewinn in Höhe von mehreren zehn Milliarden Euro bringen könnte. Das Vereinigte Königreich, das dank der Einführung von Open Banking in diesem Bereich immer ein paar Jahre voraus ist, hat bereits eine Innovationswelle erlebt – von Budgetierungs-Apps bis hin zu Tools für die sofortige Bonitätsprüfung. Open Finance skaliert dies auf alle Finanzdienstleistungen. In der EU geht man davon aus, dass die Open Data Economy bis zu 300 Milliarden Euro Mehrwert bringen kann.
KI-Agenten brauchen zum Erfolg Open Finance
Und nein, davon profitieren nicht nur Fintechs und deren Investoren. Verbraucher profitieren von personalisierten Finanzdienstleistungen, besserem Zugang zu Krediten und Finanzberatung in Echtzeit. Unternehmen – insbesondere KMU – können schnellere Rechnungsfinanzierung, integrierte Buchhaltung und Betriebskapitallösungen erhalten, die auf ihrer tatsächlichen finanziellen Situation basieren und nicht nur auf ihrer letzten Steuererklärung.
Auch große Banken und Versicherungskonzerne als Datenhalter können profitieren – vorausgesetzt, sie sind bereit, mitzuspielen. Heute ist das Datenmanagement nur noch zum Teil ein Wirrwarr aus Altsystemen und halb vergessenen Excel-Tabellen. Unternehmen haben oftmals eine gute Grundlage dafür geschaffen, Daten intern auszutauschen, Cloud-Lösungen wurden eingeführt, Data-Analytics-Teams aufgebaut.
Open Finance zwingt zur weiteren Standardisierung, was sauberere Daten, weniger manuelle Verarbeitung und weniger Compliance-Probleme bedeutet. Mit anderen Worten: Effizienz mit einem Wettbewerbsvorteil.
Die vielleicht größte Veränderung kommt jedoch nicht von Menschen, sondern von Maschinen. KI-Agenten – die cleveren Algorithmen, denen Sie eines Tages Ihre Finanzen anvertrauen werden, wenn Sie es nicht schon tun – benötigen strukturierten, berechtigungsbasierten Zugriff auf Daten, um richtig zu funktionieren. Ohne Open Finance gibt es keinen intelligenten Finanz-Concierge, der Ihr Leben in Echtzeit verwaltet, keine Agenten, die untereinander Wertgeschäfte abwickeln, ohne, dass wir Arbeit damit haben. Die Zukunft braucht Treibstoff, und dieser Treibstoff sind Daten. Europa möchte stark in KI werden – dafür müssen wir aber auch die nötige Grundlage neben Kapital schaffen.
Große Chancen auch für Banken
Lassen wir uns also nicht von der alten „keine Nachfrage“-Routine täuschen. Wenn Verbraucher keine offene Finanzwirtschaft fordern, dann deshalb, weil sie noch keinen Vorgeschmack auf das bekommen haben, was möglich ist. Das zeigen aber derzeit häufig Unternehmen mit Ursprung außerhalb Europas, aus den USA und Asien. Lasst uns beweisen, dass geniale Customer Experiences auch aus der EU kommen können, dass wir hier grundlegende Innovation auf Basis von reguliertem Zugang zu Daten schaffen können. Lasst uns eine in der EU allgemeingültige, länderübergreifende Datenbasis für den Finanzbereich und weitere Industriezweige schaffen, auf Basis derer wir starke digitale Innovation betreiben können.
Für die Datenhalter unter Ihnen – geben Sie sich einen Ruck: Investieren Sie in umfassende, datengetriebene Geschäftsmodelle und fördern Sie im Sinne der Innovationsfähigkeit Europas ein Open-Finance-Ökosystem, anstatt die Daten intern zu verwahren oder in bilateralen Verträgen zu teilen.