Tastbare Zahlkarten, Audiobuchsen am Geldautomaten – wie gut ist die Finanzbranche eigentlich aufgestellt, wenn es um die Kunden geht, die etwas mehr Hilfe benötigen? Wie steht es um die Inklusion?

Ende Oktober hat Mastercard verkündet, man führe eine barrierefreie Karte für Blinde und Sehbehinderte ein. Die Lösung des Kreditkarten-Unternehmens setzt auf fühlbare Einschnitte. Die Kreditkarte ist an einer runden Kerbe, die EC-Karte an einer quadratischen Kerbe erkennbar. Prepaid-Karten wiederum haben einen dreieckigen Einschnitt. Die Touch-Card ermögliche den Verbrauchern, „die Karte richtig auszurichten und zu wissen, welche Zahlungskarte sie benutzen“, so das Unternehmen.

Karten auseinanderhalten? Schwierig.

Das klingt logisch, denn schon für Menschen ohne körperliche Einschränkungen ist es mitunter schwierig, die einzelnen Karten auseinander zu halten, gerade wenn es schnell gehen muss. Scheckkarten sind heutzutage die Hauptakteure im Portemonnaie, Format und Material fast immer gleich: beim Führerschein, dem Personalausweis, der Krankenkassenkarte, der BahnCard und, und, und. Was sollen da Menschen sagen, die nicht anhand der Farbe oder Aufschrift erkennen können, welche Karte die Richtige ist? Welche Probleme haben sie sonst im Zahlungsverkehr? Und was ist mit denen, die zwar sehen, aber nicht hören können, was ihnen der Bankberater erklärt?

Rund acht Millionen Menschen in Deutschland haben eine Schwerbehinderung. Etwa eine halbe Million sind sehbehindert oder hochgradig sehbehindert, knapp 77.000 sind blind. Eine offizielle Statistik gibt es laut dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) aber nicht: Die genannten Zahlen zählen nur jene Menschen, die einen Schwerbehindertenausweis haben; das trifft nicht auf alle Betroffenen zu. Ähnlich schwierig ist es mit der Zahl der Menschen, die nicht hören können: Von rund 83.000 Betroffenen geht der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGB) aus.

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Richtlinie der EU will Teilhabe für Schwerbehinderte ermöglichen

Um ihnen das Leben zu erleichtern, hat die EU 2019 eine Richtlinie [European Accessibility Act, RL (EU) 2019/882] verabschiedet, die behinderten Verbrauchern und Nutzern mehr Teilhabe ermöglichen und den Binnenmarkt harmonisieren soll; so heißt es im ersten Paragraphen. Der Anwendungsbereich nennt explizit auch Geldautomaten, Zahlungsterminals und deren Hard- und Software. Im Juli dieses Jahres wurde die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt: das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz.

Doch laut den Betroffenenverbänden gibt es bei der Umsetzung zur Inklusion noch viel Luft nach oben. Ein großes Problem ist etwa, dass die Vorschriften für Produkte und Dienstleistungen gelten, die ab 28. Juni 2025 (!) eingeführt werden. Für alles, was vor dem Stichtag noch auf den Markt kommt, gibt es Übergangsfristen, teils bis 2030, teils länger: Ein Selbstbedienungsterminal, das am 1. Januar 2025 in Betrieb geht, kann bis 2040 genutzt werden – ohne barrierefrei zu sein. An diesen grundlegenden Fehlern stößt sich der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV).

Richtlinie wird bei Inklusion nicht konsequent umgesetzt

Auch der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVSB) hat das Gesetz kritisiert, etwa den Aspekt, dass sich die Regelungen auf Bankdienstleistungen für Verbraucher beschränke. Demnach müsse das Online-Banking für ein privates Girokonto barrierefrei sein, nicht jedoch für ein Geschäftskonto. „Warum soll bei Bankdienstleistungen ein sehbehinderter Unternehmer oder eine blinde Unternehmerin keinen Anspruch auf barrierefreie, für ihren Geschäftsbetrieb notwendige Kontounterlagen haben?“, so der Verein.

Dazu kommt, dass viele Automaten und Terminals heutzutage Touchscreens haben. Das hilft blinden Menschen nicht, sie brauchen fühlbare Tasten, am besten mit Braille-Schrift. Auch Kopfhörerbuchsen an Geldautomaten bieten eine gute Unterstützung, so bekommen Betroffene eine Audio-Anleitung. Eine bundesweite Übersicht, welche Geldautomaten für Menschen, die nicht oder nur schlecht sehen können, geeignet sind, gibt es nicht. Die einzelnen Geldhäuser haben unterschiedliche Modelle, sie behindertengerecht zu gestalten, kann ein Kostenfaktor sein, aber auch ein Wettbewerbsvorteil.

Demografischer Wandel treibt die Barrierefreiheit und Inklusion voran

Wie das neue BFSG inhaltlich umgesetzt wird, soll eine Rechtsverordnung vorgeben. Fabian Schuster ist Associate beim Bankenverband und betreut unter anderem das Thema Barrierefreiheit im Banking. Er sagt, die Arbeiten an der Rechtsverordnung seien abgeschlossen, mit der Verabschiedung sei wohl im Juni 2022 zu rechnen: „Für die Umsetzung ist die zeitliche Komponente weniger eine Herausforderung, aber manche Vorgabe ist noch nicht konkret genug.“ Deswegen sei für den Bankenverband der Kontakt zu den Betroffenen so wichtig. „Es geht ja nicht nur um Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen, sondern um den demographischen Trend: Auch ältere Menschen tun sich schwerer mit vielen Dingen“, sagt Schuster.

Darauf weisen auch die Blindenverbände DBSV und DVSB hin. Sie forderten, dass das BFSG nicht nur Menschen mit Behinderungen im Blick habe, sondern auch solche „mit funktionalen Einschränkungen“ richte: Damit wären auch Senioren, Schwangere oder Menschen mit Erkrankungen und Verletzungen einbezogen, die vielleicht nur temporär Unterstützung brauchen. Der Gesetzgeber folgte der Forderung nicht.

Schusters Einschätzung nach sind Geldautomaten heute schon barrierefreier als vor zehn Jahren, sie selbst und auch ihre Bedienelemente besser zugänglich. Schwieriger sei es, die vielen Produkte von Banken und Kreditinstituten in einfache Sprache zu übersetzen. „Die Terminologie ist oft vorgegeben. Gerade im Zahlungsverkehr oder im Wertpapiergeschäft, einfach in vielen Bereichen der Kundeninformation ist gesetzlich geregelt, was dem Kunden wie zu sagen ist – statt Dispo etwa geduldete Kontoüberziehung.“

Inklusion schützt Behinderte vor Betrügern

Komplizierte Formulierungen können es aber gerade Gehörlosen schwer machen. Sie haben oft mit der Schriftsprache Probleme: Hörende lernen, vereinfacht gesagt, Lesen und Schreiben auch, indem sie Wörter laut aussprechen und damit Bedeutung und Unterschiede erkennen; das fällt bei tauben Menschen weg. Gebärdensprache allein ist kein Ersatz.

Wille Felix Zante, Referent beim DGB, nennt daher die barrierefreie Information über Finanzdienstleistungen als wichtigen Punkt: „Hier wären DGS-Videos schon ausreichend und ein guter erster Schritt, als zweiter Schritt sollte auch der Austausch darüber barrierefrei möglich sein.“ DGS-Videos, in deutscher Gebärdensprache also, würde es den Gehörlosen erleichtern, sich selbst zu informieren – „insbesondere zu Risiken und Chancen, um diese realistisch einschätzen zu können“, so Zante. „Das macht Gehörlose anfällig für Netzwerk-Marketing oder Schneeballsysteme, wodurch die Community in der Vergangenheit bereits nachhaltig erschüttert wurde.“

Auch mit Banken und Dienstleistern zu sprechen, sei eine Hürde. Zante ist keine kostenlos nutzbare Hotline bekannt, die in Gebärdensprache über einen Telefondolmetschdienst erreichbar ist, um etwa Kreditkarten zu sperren. Auch laufe der Kundenservice zumeist telefonisch ab; betroffene Gehörlose berichten, dass Dolmetscher sogar explizit abgelehnt werden, weil eine Vollmacht vorliegen müsse. Der DGB fordert daher unter anderem, dass Dolmetscher von den Dienstleistern zur Verfügung gestellt werden. Die Deutsche Rentenversicherung bietet solch einen Service bereits an.

Headerbild: iStock Bildnachweis:Motortion

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