Corporate Chains wie Arc und Tempo versprechen Compliance im Web3. Doch sie widersprechen der eigentlichen Idee hinter der Blockchain, die Vernetzung statt Silo-Bildung versprach. Entwickeln wir uns gerade zurück in die Vergangenheit?
Circle mit Arc, Stripe mit Tempo – auf einmal stellen nicht nur Start-ups, sondern auch globale Zahlungsriesen ihre eigenen L1-Blockchains vor. Eigentlich sollten Blockchains helfen, die Silos aufzulösen. Stattdessen entstehen aktuell zunehmend neue Blockchains, die nicht von einem offenen Ökosystem initiiert werden, sondern von Unternehmen mit der klaren Strategie, den maximalen Anteil an der Wertschöpfungskette zu internalisieren. Befinden wir uns gerade auf der Überholspur in die Vergangenheit?
Blockchains mit Fokus auf Compliance machen viel Sinn. Institutionelle Akteure, Banken, Fonds oder Zahlungsdienstleister brauchen Sicherheit, regulatorische Klarheit, praktisch “Compliance by design”. Sie wollen wissen, dass die Chain, auf der sie Milliarden bewegen, auditierbar ist, dass im Zweifel ein klarer Ansprechpartner existiert und dass die Infrastruktur nicht an einem anonymen Governance-Drama scheitert. Von diesem Standpunkt aus wirkt die Idee einer “Corporate Chain” fast zwingend.
Das Paradox der Corporate Chains
Aber genau hier lauert das Paradox. Denn Blockchain trat einst mit dem Anspruch an, einen gemeinsamen, neutralen Settlement-Layer zu schaffen – ein Protokoll, auf das sich alle einigen können, weil es eben keinem gehört. Wenn jetzt jede Firma ihre eigene Chain baut, bewegen wir uns in Richtung der Situation, die Blockchain eigentlich überwinden wollte: ein Flickenteppich proprietärer Systeme.
Denn stellen wir uns ehrlich die Frage: Was passiert, wenn bald nicht nur Circle und Stripe ihre eigenen L1s betreiben, sondern auch Visa, Mastercard, JP Morgan usw.? Dann hätten wir nicht das eine “Internet of Value”, sondern dutzende Parallelwelten – jede optimiert für die Bilanz des jeweiligen Betreibers, jede mit eigenen Regeln, Governance-Strukturen und Eintrittshürden.
Wären wir dann nicht wieder genau in der Welt, die wir heute schon kennen? Banken-Silos, Zahlungs-Silos, IT-Silos – miteinander verbunden über teure Schnittstellen, Intermediäre und endlose Protokoll-Übersetzungen. Nur, dass die neuen Silos dann “Blockchain“ heißen. Ist das wirklich der Fortschritt, den wir uns von Web3 erhofft haben?
Compliance als Verkaufsargument
Die Befürworter sagen: Wettbewerb belebt das Geschäft. Mehr Chains, mehr Innovation, mehr maßgeschneiderte Lösungen. Compliance ist schließlich nicht optional – ohne sie kein institutionelles Kapital. Und ja, Compliance-optimierte L1-Blockchains ergeben tatsächlich Sinn, sie sind eine sinnvolle Erweiterung der bestehenden Landschaft. Aber genau deshalb wäre es entscheidend, dass nicht jeder Player sein eigenes Netz betreibt, sondern dass mehrere große Akteure gemeinsam dieselbe Infrastruktur nutzen. Eine „Shared Chain“, die von mehreren Unternehmen getragen und betrieben wird, schafft Vertrauen, senkt Kosten und erhält gleichzeitig den Netzwerkeffekt. Alles andere führt unweigerlich zurück in die Fragmentierung.
Die eigentliche Stärke von Blockchain liegt ja nicht darin, dass man einfach nur die Technologie einführt, sondern dass alle auf derselben Infrastruktur aufbauen und sich dadurch die Architektur des Finanzsystems massiv verändert. Es entstehen Skaleneffekte und Kostenvorteile. Beispielsweise wird die technische Kontoführung auf eine mit dem Wettbewerb gemeinsam genutzte Infrastruktur ausgelagert. Warum das kein Problem ist? Jedes Konto ist gleich. Es ist für eine Bank unmöglich, das bessere Konto zu entwickeln, weil es eine Commodity ist. Es zählen heutzutage nur noch Kostenvorteile.
Um ein anderes Beispiel zu geben: Das Internet ist so erfolgreich geworden, weil es nur ein Internet gibt, das jeder Mensch und jede Firma weltweit gemeinsam nutzt. Stellen wir uns vor, es gäbe ein “Apple-Net”, ein “JP-Morgan-Net” oder ein “Deutschland-Net” – letzteres möchte ich mir nicht ausmalen – jedes mit eigenen Regeln, eigenen Gateways, eigenen Zugangspreisen. Das wäre nicht die offene, vernetzte Welt, die das Internet hervorgebracht hat, sondern ein zerfaserter Flickenteppich.
Brückentechnologie oder Sackgasse?
Natürlich ist das Problem nicht schwarz-weiß. Arc und Tempo sind in meinen Augen Brückentechnologien. Das Web3 braucht Compliance by Design. Neue Compliant-Chains können als Sandbox dienen, um institutionelle Player ans Web3 heranzuführen, die sich niemals direkt auf Ethereum oder Solana trauen würden. Vielleicht sind sie eine Art “Übergangstechnologie”, die in der langen Frist wieder in offene Netzwerke zurückfließt. Doch die Gefahr bleibt, dass sich die Silos verfestigen – und wir irgendwann mehr Energie in Bridges, Integrationen und Standardisierungen stecken, als wir je durch die ursprüngliche Idee der Dezentralisierung gewonnen haben.
Die eigentliche Frage ist also nicht, ob es eigene, compliance-optimierte Blockchains geben sollte – die Antwort darauf lautet klar: ja. Aber idealerweise sind solche Chains nicht das Spielzeug einzelner Konzerne, sondern werden von Konsortien getragen, in denen mehrere Player gemeinsam eine Lösung betreiben. So entsteht ein Netz von offenen und spezialisierten Infrastrukturen, die ineinandergreifen, statt nebeneinander herzulaufen
Es bleibt also zu beobachten, in welche Richtung wir uns hier entwickeln. Wünschenswert wäre die Umsetzung der ursprünglichen Idee eines “Internet of Value”, nicht eines “Internet of Silos”.