Ein Gastbeitrag von Dr. Alexander Kihm, Geschäftsführer Raisin Pension GmbH

In der letzten Januarwoche 2021 gab es eine Bankrotterklärung. Ein Komplettversagen in der Rentenpolitik. Wieso? Und was hat das nun eigentlich mit Fintech zu tun? Um das zu verstehen, müssen wir uns erst auf eine kurze Zeitreise begeben.

fairr und “Riester-Hacking”: Wenn Altersvorsorge urplötzlich attraktiv wird

2014 sind wir mit fairr gestartet, um eine echt faire und rentable zusätzliche Altersvorsorge auf ETF-Basis mit staatlicher Riester-Förderung voll digital anzubieten – damals ein absolutes Novum und ein regelrechtes “Hacking”. Was wir nämlich erkannt haben ist, dass sich unter den gewaltigen Rentenversicherungs-Provisionen, die 2005 von der Politik explizit möglich gemacht wurden, eigentlich eine sehr vernünftige und günstige Altersvorsorgelösung versteckt. Bis zur Gründung von fairr hatten nur Anbieter von Banksparplänen die Chance ergriffen, einfache und kostengünstige Riester-Produkte anzubieten.

Geringe Renditen und vor allem eine Überregulierung sorgten jedoch dafür, dass diese quasi komplett aus dem Markt verschwanden: In 2018 wurden für Riester-Verträge Produktinformationsblätter verpflichtend. Die Politik ignorierte, dass kleine und kosteneffiziente Anbieter die entstehenden IT-Kosten und den Verwaltungsaufwand nicht stemmen konnten und so ihre Riester-Banksparpläne einstellten.

Quo vadis Rente? Die Riester(nicht)reform aus Sicht eines Fintechs

Fairr konnte sich trotz Kostendrucks und Niedrigzins mithilfe von Kosteneffizienz und digitaler Struktur lange Zeit dennoch behaupten. Unser in dieser Form einmalige und voll digitale Riester-Fondssparplan mit ETFs und garantierten Rentenkonditionen war bei Verbrauchern beliebt, wurde mehrfach empfohlen und ausgezeichnet. Auch das Fintech Raisin bekam Wind von der Erfolgsgeschichte und übernahm fairr 2019, um die Erfolgsgeschichte gemeinsam weiterzuschreiben und noch größer zu denken. Wir als Gründer sind mit unserem Team weiter an Bord, um Altersvorsorge fair, transparent und auf ETF-Basis langfristig rentabel anzubieten. Soweit so gut? Nicht ganz.

Die Corona-Krise stellt Märkte auf den Kopf, aber auch die Altersvorsorge

Uns ging es wie vielen im vergangenen Jahr, denn: Dann kam Corona… Und mit dem Ausbruch der Pandemie gingen massive Kursverluste mit extremen Schwankungen der Zinsen einher. Es offenbarte sich deutlich, worauf auch kosteneffiziente Anbieter schon seit Jahren hingewiesen hatten: die Nichtvereinbarkeit der Riester-Beitragsgarantie mit Renditechancen. Kunden wissen zwar, dass ihnen dank Beitragsgarantie zum Rentenbeginn mindestens alle einge­zahlten Beiträge und Zulagen für Renten­zahlungen zur Verfügung stehen. Dass dies jedoch Einfluss auf die Rendite ihres langfristigen Altersvorsorge-Vermögens hat, scheinen manche zu übersehen. Die BaFin schreibt nämlich folgendes vor: Sollte der abgezinste Wert des garantierten Kapitals höher sein als das aktuell vorhandene Vermögen, muss der Anbieter diese Differenz mit Eigenkapital ausgleichen können. Extreme Volatilität bei Wertpapieren und Zinsen, zum Beispiel ausgelöst durch die COVID-19-Krise, verhindern dann eine verlässliche Berechnung der Eigenkapitalverpflichtungen.

Verlust der Geschäftsgrundlage aufgrund gesetzlicher Regelungen

Im Frühjahr letzten Jahres waren deshalb viele Riester-Anbieter gezwungen in Liquidität umzuschichten – zum Leidwesen der Kunden. Es handelt sich hier aber ganz klar nicht um ein punktuelles Problem. Für Anbieter, die ihren Kunden mit hohen Aktienquoten Renditechancen ermöglichen wollen, ist die Eigenkapitalregulierung im aktuellen (und zukünftig anhaltenden) Negativzins-Umfeld mathematisch schier unmöglich. Somit wird die Anlage der Kundengelder am Aktienmarkt – eigentlich als gut gemeinter Verbraucherschutz – verhindert. Folglich zerstört dies auch die langfristige Chance auf Rendite zu Lasten der Kunden, um dann im Alter eine adäquate Rente beziehen zu können. Selbst unser innovativer Ansatz – die geförderte Altersvorsorge mit den Renditechancen von Aktien-ETFs zu kombinieren – ist so auf lange Sicht nicht mehr realisierbar.

Das unbegreifliche Rentenreform-Aus und die Folgen

Und damit sind wir wieder zurück bei der Riester-Reform. Seit im Koalitionsvertrag eine Überholung des Modells vereinbart wurde, ist sie ein Lichtblick für eine Branche geworden, die auf eine Abschaffung oder zumindest auf eine Senkung der 100%-igen Beitragsgarantie hofft. In diversen Ankündigungen hatten Vertreter der Union und SPD die Reform fest thematisiert. Noch im September 2020 hieß es, das Bundesfinanzministerium (BMF) arbeite mit “Vehemenz” an einem Entwurf (Handelsblatt). Und nun doch wieder nichts. Seit die Bombe zum Reform-Stopp geplatzt ist, hat es noch keine offizielle Stellungnahme von Seiten der Politik gegeben. Gründe für die Nicht-Reform sind mit großer Wahrscheinlichkeit rein politischer Natur.

Quo vadis Rente? Die Riester(nicht)reform aus Sicht eines Fintechs

Mit Rentenreformen macht man sich in Wahljahren bekanntlich nicht beliebt. Dabei besteht dringender Handlungsbedarf, denn bei Untätigkeit wird die Stabilität von Anbietern fahrlässig gefährdet. Das Angebot an Riester-Produkten sinkt stetig, als nächster Schritt und als Not(er)lösung droht die Kündigung von Riester-Verträgen. Mit Berufung auf § 313 BGB könnten Anbieter dies mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen.

So weit sollte und muss es aber nicht kommen. Dabei ist eine umfassende Reform nicht dringend notwendig. Es würde schon eine zeitgemäße Aktualisierung der Eigenkapitalregeln reichen, um kosteneffizienten Anbietern zu ermöglichen, für ihre Kunden wieder sinnvoll zu investieren. Und diese nötigen Gesetzesänderungen belaufen sich auf wenige Worte! Auch deshalb ist der Reform-Stopp so unbegreiflich.

Wenn Riester von Rürup lernt… Und die Chance für Fintechs

Wenn die Legislaturperiode nun wirklich reformlos enden sollte, stellt sich die Frage: Wo geht die Altersvorsorge-Reise stattdessen hin? Die Antwort liegt bei vielen Anbietern schon im Produktangebot: Rürup. Hier handelt es um eine bewährte Altersvorsorgelösung, die bereits jetzt für wesentlich größere Volumina beliebt ist und trotzdem vom Gesetzgeber aus ohne Garantiepflicht auskommt. Ein Ansatz, der Sparern wirklich die Chance gibt, ihre Beiträge renditestark anzulegen und Rentenlücken zu schließen, und Fintechs wie uns die Möglichkeit verschafft, kosteneffiziente Altersvorsorge für alle anzubieten.

Und wie könnte ein Renten-Hack heute aussehen?

Darüber hinaus steht der Rürup – auch als Basisrente bekannt – ja tatsächlich noch auf der Reformagenda. Neben der angedachten Vorsorgepflicht für Selbstständige (ab 2024) wären für eine kundenfreundliche Transition von Riester zu Rürup nur noch wenige kleinere Änderungen nötig. Erstens muss ein Übertrag von nun zerstörten Riester-Guthaben in Rürup-Verträge ermöglicht werden. Zweitens sollte der Anbieterwechsel für Rürup-Verträge erlaubt sein, denn aktuell können sich Anbieter noch weigern. Auch eine Zulagenförderung ließe sich integrieren – aber bitte in einer stark vereinfachten Ausführung. Zu guter Letzt würde man mit einer Aufhebung der sogenannten Leibrentenpflicht das größte Hindernis für Kunden aus dem Weg räumen. Bietet man die förderschädliche Kapitalauszahlung als Option neben der lebenslangen Rente an, löst man damit auch die oft kritisierte mangelnde Vererbbarkeit von Rürup-Verträgen. All diese sind durchführbare Änderungen, die die Politik beim nächsten Reformentwurf berücksichtigen sollte. Hat der Wahlkampf schon begonnen?

Noch haben wir die Hoffnung auf eine Riester-Reform und ein staatlich gefördertes sinnvolles, kosteneffizientes Altersvorsorgeprodukt nicht ganz verloren. Sollten die Befürchtungen jedoch wahr werden, fokussieren wir uns auf die ETF-basierte Rürup-Rente. Sie wird immer beliebter und schickt sich ohnehin an Riester zu überholen. Bei der Rendite hat sie es längst getan.

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