Insurance: Die Suche nach der Customer Centricity geht weiter

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Dieses Ding mit der Kundenzentrierung. Auch wenn der Satz etwas abgegriffen ist, aber nach vielen Gesprächen und Vorträgen auf der InsureNXT lässt sich die aktuelle Ausgangssituation kaum treffender beschreiben: Customer Centricity in der Versicherungsbranche scheint tatsächlich wie Teenager-Sex. Jeder redet darüber, niemand weiß wirklich, wie es geht, aber jeder denkt, alle anderen würden es tun.

100 Jahre an den Menschen vorbeigeplant

Es gibt vermutlich nur wenige Branchen, in denen es die Situation gibt, dass der Präsident eines großen Branchenverbandes auf offener Bühne freimütig erklärt, dass die angebotenen Produkte alles andere als „sexy“ seien. Und letztlich seit 100 Jahren überhaupt nicht an die wichtigsten Personen gedacht wurde: die Endkund:innen nämlich.

Aber weil Norbert Rollinger nicht allein Präsident des GDV ist, sondern „nebenbei“ auch noch Vorstandsvorsitzender der Versicherung R+V, wiegen solche Aussagen natürlich schwer. Und das zustimmende und bedächtige Kopfnicken des Auditoriums sagt dann schon viel aus.

Der Elefant im Raum

Nun arbeiten sich Insurtechs und Neo-Versicherer (ob Full Stack oder Assekuradeurs) seit geraumer Zeit an einem ganz offensichtlichen Thema ab. Denn es bleibt nun mal dabei: Eine Versicherung ist und bleibt ein Produkt, das nicht sonderlich attraktiv ist.

Daran ändern auch TV-Spots (wie in einer aktuellen Kampagne) nichts, die einem suggerieren, dass es kaum besser laufen könnte, als Betroffener eines Auffahrunfalls zu sein. Die Versicherung kümmere sich um alles und „ein Kaffee ist auch drin“.

Aus einer rein technischen und fachlichen Perspektive ist eine Versicherung mit Sicherheit kein Deut anders als ein Ratenkredit oder die Vorfinanzierung einer Warenlieferung.

Aus Sicht der Kund:innen ist der Unterschied gewaltig. Im Falle eines Ratenkredits steht am Anfang ein Wunsch. Ob eine neue Couch, ein Auto oder was auch immer. Und die Werbung für Ratenkredite greift einfach diese Wünsche auf oder stellt die „finanzielle Freiheit“ in den Vordergrund. Objektiv haben 72 Monate feste Kontoabbuchungen wenig mit Freiheit zu tun. Das weiß jeder. Es funktioniert nur trotzdem.

Bei der Versicherung bleibt das Gefühl, dass es eine Entschädigung gibt, für etwas, was eigentlich nicht sonderlich erstrebenswert ist. Schön, wenn die Zahnzusatzversicherung die Kosten bei Zahnersatz trägt. Davor liegen aber einige Stunden auf dem Stuhl beim Arzt. Eine Diebstahlversicherung für das Bike ist toll, das Rad dann aber trotzdem weg.

Außer dem Aspekt „Sicherheit“ bleibt mal aus Sicht der Kundschaft wenig. Zumal das gewichtige Argument des GDV-Präsidenten gilt. Verstehen mussten die Produkte nicht die Menschen, die sie benötigten, sondern die, die sie ihnen verkauften. Die Versicherungen verließen sich auf Makler und Vermittler.

Das Tindern allein wird wohl nichts nutzen

Vermutlich dürfte es das Bild zu einem geflügelten Wort schaffen. Der GDV-Präsident verglich das Verhältnis zwischen Insurtech und Versicherern mit Tinder. Es käme darauf an, die Partner zu finden, die zu einem passen. Denn entscheiden müsse man sich, weil Geld und Ressourcen endlich seien.

Das Tindern, im Sinne von finanziellen Beteiligungen, fällt derzeit zwar günstiger aus, weil auch im Insurtech-Sektor das Geld der VC nicht mehr so locker sitzt. Wie in unseren News schon berichtet, scheint die Talsohle erreicht. Die Investitionen zeigen wieder verhalten nach oben.

Die Insurtechs, nicht nur in Deutschland, produzieren viele clevere Lösungen, die Prozesse in den Versicherungsgesellschaften optimieren und beschleunigen. Und eine Reihe von Startup fokussiert sich auch auf das Kudenfrontend.

Aber ist Kundenzentrierung tatsächlich schon mit dem Zustand erreicht, dass die Kundschaft jetzt Felder auf dem Smartphone ausfüllt, statt mehrere Seiten Antragsformulare auf Papier auszufüllen? Oder wenn ich als Versicherungsnehmer:in meine Verträge in Apple oder Google Wallet ansehen kann?

Die großen Fragen der Branche scheinen weiterhin ungeklärt:

  1. Wie gelingt es Versicherern, ihre Produkte emotional positiver aufzuladen?
  2. Wie gestalten sie den Vertrieb so einfach, wie es die von Amazon und Neo-Brokern getriebene User Experience heute eigentlich erfordert?
  3. Und wie werden Versicherungsgesellschaften zu einem Lebensbegleiter ihrer Kund:innen?

Hier ist wohl noch eine Menge zu tun.

Autor

  • Stephan ist seit Anfang der 90er Jahre online und hat eine ausgeprägte Fintech-Vergangenheit (Star Finanz, Hypoport). Bei der Hypoport-Tochter Dr. Klein war er u.a. für das Produktmanagement und den Bereich Business Development verantwortlich. Seit über 10 Jahren schreibt er über ausschließlich über Tech, Retail, E-Commerce und Insurance.

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