FemTech/Start-ups: Die nächste große Revolution in der Health-Branche?

FemTech bedient ein Segment, das lange unbeachtet blieb. Doch die Nachfrage der Tech-Produkte für Frauen ist groß. Kein Wunder, bieten sie doch Lösungen für Probleme, die rund die Hälfte der Bevölkerung umtreiben. Der Begriff bezeichnet Software, Hardware und Dienstleistungen aus dem Bereich der Frauengesundheit, die im weitesten Sinne auf Technologie basieren oder vornehmlich digital vertrieben und vermarktet werden. Celia Rosas schreibt in ihrem Aufsatz „The Future is Femtech“ im Hastings Business Law Journal, dass die FemTech-Industrie auch Tampons aus Bio-Baumwolle oder Öko-Kondome umfasse, dazu kommt die Kategorie Sexual Wellness. Viele FemTech-Firmen befassen sich mit dem weiblichen Zyklus und bringen diesen beispielsweise in eine Smartphone-App. Die Produkte messen etwa Temperatur oder Hormonhaushalt der Nutzerinnen. Per App erhalten die Frauen Feedback, ob sie einen fruchtbaren Tag haben oder nicht. Besonders vielversprechend sind Angebote, die High-Tech und High Touch zu einem nachhaltigen und serviceorientierten Female-Health-Produkt verbinden.

Im Zuge des wachsenden Bewusstseins und der Bewegungen der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten ist ein neuer Markt für Gesundheitstechnologie für Frauen entstanden. 50 % der Weltbevölkerung ist weiblich sind, da ist eine effiziente Gesundheitsversorgung für Frauen eine dringende Notwendigkeit. Es gibt enorme physiologische Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Körper, wenn es um Hormone, Verarbeitungsmedizin, Geburt und Schwangerschaft geht. Historisch gesehen hat die Medizin den männlichen Körper als Standard betrachtet, während der weibliche Körper als “der Abweichende” galt. FemTech ändert diese Vorstellung mit neu aufkommenden Technologien wie Tracking Wearables, künstlicher Intelligenz, Apps und nicht-invasiver Hardware, um das Bewusstsein für die Gesundheit der Frau zu schärfen.

2016 gab es noch keinen Namen für diesen Industriezweig. Für dieses Jahr wird Firmen, die sich mit Frauengesundheit beschäftigen, zwei Milliarden US-Dollar Investitionen prognostiziert. Davon profitieren Frauen doppelt: als Gründerinnen und Konsumentinnen.

Aus der Medizin sind Frauen nicht wegzudenken. Als Heilerinnen, Pflegerinnen und Ärztinnen leisten sie schon immer einen wichtigen Beitrag. Auch die Care-Arbeit lastet noch zu weiten Teilen auf den Schultern der Frauen. Ihrer eigenen Gesundheit wurde eher weniger Beachtung geschenkt, doch das ändert sich gerade, und verantwortlich sind dafür vor allem die Frauen selbst. Unter dem Schlagwort FemTech – eine Zusammensetzung aus den englischen Begriffen female und technology – bieten Unternehmerinnen immer öfter innovative Software, Produkte und Dienstleistungen an mit dem Ziel, die Gesundheit von Frauen zu verbessern. Und das mit Erfolg: Analysten sehen in FemTech die nächste große Revolution in der Health-Branche.

FemTech Start-ups eine Übersicht

2020 könnte zum Rekordjahr werden. Zwei Milliarden US-Dollar an Investitionen prognostiziert das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan. 2025 sollen es schon 50 Milliarden US-Dollar sein. Dabei hatte die Branche bis 2016 nicht einmal einen Namen. Derzeit besteht allerdings noch deutliches Verbesserungspotenzial, denn in puncto Gesundheitsinnovation existiert immer noch eine Geschlechterlücke. Der männliche Körper galt lange Zeit als De-Facto-Standard, während der Körper der Frau als Version hiervon gesehen wurde. Daher wurden vorwiegend Daten von Männern erfasst und gesammelt.Experten sprechen diesbezüglich von einer Geschlechterdatenlücke (gender data gap), derzeit ein viel diskutiertes Thema.

Mehr als 200 Start-ups beschäftigen sich heute weltweit mit FemTech

Erfunden hat das Wort Femtech damals die Dänin Ida Tin. Auf einer Technologiemesse in San Francisco war die Erfinderin und Unternehmerin überrascht, wie verloren Aussteller aus dem Bereich wirkten, in dem sie selbst arbeitete. „Ich wusste sofort, dass der Markt definiert werden muss, damit Produkte für die Gesundheit von Frauen ernst genommen werden können“, erinnert sich die heute 40-Jährige. „Daher schlug ich vor, uns als Femtech-Unternehmen zu bezeichnen.“ Heute zählen mehr als 200 Start-ups auf der ganzen Welt dazu. Viele bieten Produkte und Lösungen rund um Menstruation, Sexualität, Fruchtbarkeitstracking und Schwangerschaft an. Aber auch psychische Probleme, die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger, Brustkrebs-Früherkennung und der Umgang mit chronischen Krankheiten spielen eine Rolle.

Die Zyklus-App „Clue“ wird heute von mehr als 10 Millionen Menschen weltweit genutzt

Dass die Gründerinnen die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe genau kennen, weil sie selbst dazu zählen, ist einer der Gründe für den Erfolg. Der andere ist der wirtschaftliche Einfluss von Frauen. Fast 30 Prozent mehr geben sie im Vergleich zu Männern für ihre Gesundheit aus, drei Viertel aller Frauen nutzen dabei regelmäßig digitale Tools. Das macht Femtech-Unternehmen für Investoren interessant, besonders wenn an deren Spitze selbst Frauen stehen wie bei bei den Riskokapitalgebern „Astarte Ventures“ oder „Harbinger Ventures”. Wo Gründerinnen früher nur männlichen Risikokapitalgebern gegenüberstanden, treffen sie jetzt vermehrt auf Frauen, denen sie den Nutzen ihrer Produkte nicht umständlich erklären müssen, gerade wenn es um die weibliche Fruchtbarkeit und die Periode geht – und das tut es bei den Produkten der Femtech-Branche oft, auch beim wohl bekanntesten Femtech-Unternehmen „Clue“. Seine Zyklus-App nutzen rund 10 Millionen Menschen in über 190 Ländern. Fast 30 Millionen Dollar hat das Unternehmen dafür seit 2013 von Investoren eingesammelt, notiert die Datenbank Crunchbase.

Menstruation, Endometriose, Verhütung: lange von der Industrie ignoriert, heute eine Milliardengelegenheit mit Multi-Channel-Strategie

Da die Bevölkerung der sexuellen Gesundheit der Frau gegenüber aufgeschlossener wird und sich mehr auf den Einzelnen statt auf den Patienten und den Arzt stützt, haben innovative Frauentechnologien auf dem Gesundheitsmarkt erhebliche Fortschritte gemacht. Durch Sensordaten können Informationen über den weiblichen Körper gesammelt werden, um die innovativen Technologien in FemTech voranzutreiben. Die Femtech-Industrie befasst sich auch mit weiblichen Gesundheitskrankheiten wie Endometriose. Innovative Technologien wie Bluttests anstelle von invasiven Gewebeoperationen können diese quälend schmerzhafte Krankheit diagnostizieren. Darüber hinaus sind spuckbasierte Fertilitätstests, Uber-ähnliche Geburtenkontrolle und PAP-Abstriche von zu Hause auf dem Weg in die Öffentlichkeit, um die Gesundheitsfürsorge für Frauen zugänglicher und erreichbarer zu machen.

FemTech Start-ups eine Übersicht

Auch „Next Gen Jane“ setzt bei der weiblichen Menstruation an, aber zum Zweck der Früherkennung. Das Unternehmen hat eine einfache Testmethode für Endometriose entwickelt. 200 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter sind weltweit von der Unterleibserkrankung betroffen. Geht es nach Ridhi Tariyal – Biologin und Gründerin von „Next Gen Jane“ –, müssen Frauen nur ein Testkit mit einem speziellen Tampon nach dem Gebrauch zurückschicken, um zu erfahren, ob bei ihnen ein Risiko besteht. Es wäre das erste Mal, dass betroffene Frauen sich für die Untersuchung keinem Eingriff unterziehen müssten. Experten halten die Erfindung für revolutionär, noch ist sie aber nicht für den Markt zugelassen.


Ein Start-up wie „Natural Cycles“ ist da schon weiter. 2017 wurde es vom TÜV als erste Verhütungs-App weltweit zertifiziert. Obwohl es zuletzt Kritik an der Zuverlässigkeit des Programms gab, das von der schwedischen Teilchenphysikerin Elina Berglund und ihrem Mann entwickelt wurde: Bei Frauen um die 30 bleibt die App sehr beliebt. Auch „Elvie“ ist längst eine Femtech-Größe. Bekannt wurde das Unternehmen aus London mit einem Beckenbodentraining-Computer, der sich über eine App steuern lässt. Inzwischen ist eine Brustpumpe dazugekommen. Stillende Mütter können sie freihändig und ohne Kabel und Schläuche bedienen, sogar unterwegs, denn die flüsterleise Pumpe passt in Still-BHs. Beim Verkaufsstart standen mehrere Tausend Frauen in Großbritannien und den USA auf der Warteliste, trotz der circa 260 Euro, die die Pumpe kostet. Fast genauso teuer ist das Armband, das „Ava“ anbietet. Das Produkt des Schweizer-kalifornischen Start-ups liefert Trägerinnen in Echtzeit Daten zu Fruchtbarkeit, ihrer allgemeinen Gesundheit oder einer bestehenden Schwangerschaft. 20.000 Frauen seien mit Hilfe des Trackers schwanger geworden, wirbt das Unternehmen, jeden Tag kämen 50 hinzu. Wegen der großen Nachfrage verkauft „Ava“ sein Armband inzwischen bei Handelsgrößen wie Otto, Amorelie und Mediamarkt, was den Absatz weiter ankurbeln dürfte.

Der noch als Nischensektor bezeichnende Markt ist auf dem Weg, in den nächsten Jahren vielleicht zu einem der größten “disrupting markets” im Gesundheitswesen zu werden. Kosteneffizienz setzt sich als einer der größten Vorteile des FemTech durch. Beispielsweise beläuft sich die Unfruchtbarkeitsbehandlung derzeit noch auf mehrere tausende Euro, und die Fertilitäts- und Ovulationsverfolgung senkt diese Zahl vor ihrer Hauptbehandlung drastisch.

Doch wie sieht es mit den Investitionen aus? Weibliche Technologie sind im Allgemeinen noch ein unerschlossenes Feld. Investoren investieren aus verschiedenen Gründen bisher wenig Geld in diese Start-ups. Einige denken, dass FemTech ein Nischenbereich ist, ohne zu begreifen, dass Frauen mehr als 50% unserer Bevölkerung ausmachen. Außerdem sind VC-Fonds immer noch männerdominiert, was ein einschüchterndes Umfeld für die Gründung von Start-ups mit Fokus Menstruationszyklen oder Anwendungen im Bereich der sexuellen Gesundheit, schafft. Risikokapitalgeber werden ungeschickterweise behaupten, mit der Gesundheit von Frauen nicht vertraut zu sein, und sich gegen Investitionen entscheiden.

FemTech Start-ups eine Übersicht europa


Studien besagen jedoch, dass, wenn ein männlicher CEO weibliche Gesundheitstechnologie anpreist, Risikokapitalgeber leichter investieren, da sie glauben, dass das Produkt für beide Geschlechter und nicht nur für Frauen geeignet ist. Mit zunehmender Akzeptanz der weiblichen sexuellen Gesundheit in der Bevölkerung nehmen Situationen wie diese ab und führen zu viel mehr Möglichkeiten in diesem Bereich.

„Es ist eine Milliardengelegenheit“, so sieht es US-Investorin Tracy Warren, wenn es um FemTech-Firmen geht, die sie regelmäßig mit Geld versorgt. Lea von Bidder, Co-Gründerin von „Ava“, hat eine etwas andere Perspektive auf die Branche: „Was wir machen, hat mit Empowerment zu tun.“ Am Ende stimmt beides.

Wir haben uns in unser Infografik auf den europäischen Markt konzentriert und die relevantesten FemTech-Unternehmen zusammengetragen. Die Liste lässt sich mit Sicherheit noch um ein vielfaches erweitern. Demnach freuen wir uns sehr über Anregungen und Updates.

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