Kurzstudie von Dr. Philine Sandhu (HWR Berlin) & Achim Oelgarth (Berlin Finance Initiative)

In Deutschland werden FinTechs zu einem immer stärkeren Motor für die Wirtschaft. 2,1 Milliarden Euro Kapital haben deutsche FinTechs allein in der ersten Jahreshälfte 2021 eingeworben, zwei Drittel davon am Standort Berlin. Trend: weiter steigend, wie die jüngste Mega-Finanzierungsrunde bei N26 zeigt. In der Hauptstadt hat sich insgesamt ein starkes Ökosystem für Finanztechnologien entwickelt, welches in hohem Maße Investoren, Kapital und Gründer/innen aus aller Welt anzieht. Damit nimmt Berlin auch in Europa eine Führungsrolle als digitaler Finanzplatz ein.

Hoher Nachholbedarf bei Diversität

Während FinTechs in Deutschland eine Vorreiterrolle bei Innovationen und Digitalisierungsprozessen einnehmen, sind sie bezüglich einer diversen Zusammensetzung ihrer Gründungs- und Geschäftsführungsteams starke Nachzügler. Der Frauenanteil in den Gründungsteams der 20 größten deutschen FinTechs beträgt nur vier Prozent, die Geschäftsführungsteams weisen nur drei Prozent Frauen auf.

Auch in anderen Diversitätsdimensionen ist eher Einfalt als Vielfalt zu beobachten, wie Erik Podzuweit, Gründer und CEO von Scalable Capital kommentiert:

„Die Gründer aus Deutschland kommen oft aus einer bestimmten Nische von Leuten. Sie sind nicht nur überwiegend männlich, sondern sie kommen von den gleichen Schulen, von bestimmten Beratungen oder Banken. Die berufliche Sozialisierung ist sehr ähnlich.“

Sind die Unternehmen gewachsen, versuchen sie für leitende Managementpositionen zunehmend Frauen von außen zu rekrutieren. Mit 12 Prozent Frauenanteil im Management ist damit ein deutlicher Sprung zu verzeichnen. Die Branche hat es jedoch weitgehend versäumt, eine Pipeline diverser Kandidatinnen und Kandidaten intern aufzubauen.

Im Vergleich zur Geschlechterdiversität in FinTech-Geschäftsführungen anderer europäischer Länder liegt Deutschland jedoch weit hinten. Obwohl der Anteil weiblicher Gründerinnen in Frankreich und Großbritannien ähnlich niedrig ist, weisen diese Länder zumindest einen zweistelligen Frauenanteil auf oberster Führungsebene auf.

Diese Position als Schlusslicht ist für Deutschland nicht neu. Bei einem Vergleich der Frauenanteile in den höchsten Entscheidungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen in Europa lag Deutschland in 2020 deutlich unter dem Durchschnitt aller 27 EU-Länder auf dem viertletzten Platz.

Auch im innerdeutschen Vergleich wird der überaus große Nachholbedarf der FinTech-Branche deutlich: Der Frauenanteil in den Vorständen der DAX 30 lag in 2020 bei 14,6 Prozent und in den Vorständen der 100 größten deutschen Banken bei 10,5 Prozent. Ein durchschnittlicher Frauenanteil von nur drei Prozent bei den 20 größten FinTechs bringt die Branche daher in Erklärungsnot.

Hürden und Chancen für mehr Diversität

Die Ursachen für den geringen Frauenanteil sind vielfältig und struktureller Natur. Das Gründer/innentum ist in Deutschland generell nicht sehr stark ausgeprägt und es gibt wenige Universitäten, die gute Rahmenbedingungen für Gründungen bereitstellen. In diesen Strukturen sind Frauen kaum inkludiert und es bildeten sich „boys clubs“, die nun beim Aufbau von Unternehmen und weiteren Gründungen in ihrem homogenen Netzwerk agieren.

Auch gegenüber Kapitalgebern erfahren Frauen oftmals noch große Nachteile. Sie erhalten vergleichsweise deutlich weniger Förderung als ihre männlichen Kollegen. Weibliche Interviewpartnerinnen sprachen von (unbewussten) Vorurteilen gegenüber Frauen bei Pitches sowie von Vorfällen sexueller Belästigung.

Die Entscheidungsträger in den Venture Capital Firmen sind selbst sehr homogen aufgestellt. Eine Erhebung des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften in 2020 zeigt zwar, dass sich der Frauenanteil in den Investmentteams zwar langsam erhöht. Jedoch waren im letzten Jahr immer noch 76 Prozent der Teams auf Senior Ebene (Partner, Geschäftsführer, Managing Director, Vorstand) rein männlich.

Der Staat geht hier bisher nicht mit gutem Beispiel voran. Die größten öffentlichen Wagniskapitalinvestoren der Bundesrepublik Deutschland (KfW Capital, High Tech Gründerfonds und coparion) sind auf ihrer Führungsebene rein männlich besetzt.

Als weitere Hürde für eine Karriere im FinTech-Bereich erweist sich gerade für Frauen die schwierige Vereinbarkeit von Firmen- und Familiengründung. In einer Startup Phase sind hohe Risiken zu tragen, die schwer mit einer Familiengründung vereinbar sind. Investoren sehen es teilweise sehr kritisch, wenn sich bei Gründerinnen eine Familiengründung abzeichnet. Es gib sogar Gründerinnen die aufgrund ihrer Schwangerschaft in der letzten Finanzierungsrunde leer ausgingen.

Über diese Hürden für Frauen würde bisher nicht offen genug gesprochen werden, sagte Kristina Walcker-Meyer, CEO vom Blockchain-Banking FinTech NURI:

„Aus meiner Erfahrung müssen Frauen, die im Beruf aufsteigen und Karriere machen wollen, im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen die Extra-Meile gehen. Damit sich das ändert, müssen wir endlich damit anfangen, es offen anzusprechen.“

Mittlerweile gibt es einige Frauen, die sehr erfolgreich gegründet haben oder in obersten Entscheidungsfunktionen in Verantwortung sind. Diese Frauen sind heute zu Role Models für eine nachfolgende Generation an Gründerinnen geworden. Zudem wurde eine Reihe von Initiativen ins Leben gerufen, die das Thema Diversität voranbringen. „Es gibt Initiativen und Business Angels Gruppen von Frauen, die gezielt in Frauen investieren“, sagt die Movinx Chefin Dr. Carolin Gabor. Auch erste VC Fonds würden heute darauf Wert legen, dass sie in ihren eigenen Reihen mehr Frauen haben.

Angesichts eines „war for talents“, bei dem FinTechs händeringend nach Mitarbeitenden suchen und sie zum Teil gegenseitig abwerben, ist ein wachsendes Bewusstsein für Diversität wichtig. Nur so erhöht sich der Talentpool, um geeignete Nachwuchskräfte zu identifizieren.

Der Druck der Regulatoren und durch die Finanzaufsicht steigt

Neben einem zunehmenden Fachkräftemangel steigen aber auch die Erwartungen der Regulatoren und der Finanzaufsicht. So verkündete die EZB im Juni dieses Jahres, dass Geschlechterdiversität bei der Eignungsprüfung der Führungsgremien europäischer Kreditinstitute zukünftig eine Rolle spielen werde.

Auch wenn diese Entwicklungen derzeit noch keinen spürbaren Druck auf die Führungsspitzen der FinTechs ausüben, ist im Finanzmarkt eine wachsende Dynamik zu beobachten, auf die sich die Unternehmen mittelfristig einstellen müssen.

In diesem Jahr ist mit der EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (SFDR) ein weiteres Regelwerk in Kraft getreten, welches Finanzmarktakteure zur Offenlegung von Informationen zur Nachhaltigkeit in ihren Investitionsentscheidungen verpflichtet. Darunter fällt auch die Offenlegung der Geschlechtervielfalt auf Leitungsebene von Kapitalbeteiligungsgesellschaften.

Geschlechterdiversität in Deutschland: 'Pains and Gains' in deutschen FinTechs

Auch die institutionellen Investoren weiten ihre Erwartungen an Diversität in den Leitungsgremien ihrer Portfoliogesellschaften aus. Bereits in 2020 formulierte die Hälfte der 30 größten Investoren im deutschen Markt Diversitätsanforderungen in ihren Anlagerichtlinien – Tendenz steigend.

Auch wenn diese Entwicklungen derzeit noch keinen spürbaren Druck auf die Führungsspitzen der FinTechs ausüben, ist im Finanzmarkt eine wachsende Dynamik zu beobachten, auf die sich die Unternehmen mittelfristig einstellen müssen.

Handlungsempfehlungen zur Erhöhung der (Geschlechter-)Diversität

1. Daten generieren und Transparenz schaffen

Die Datenlage ist in der FinTech-Branche derzeit noch sehr unübersichtlich, insbesondere wenn es um Informationen geht, die über die klassischen Zahlen zu Kapitalrunden und Beschäftigtenzahlen hinausgehen.

„Wir brauchen in unserer Branche mehr Awareness und Öffentlichkeit zu Diversity. Wie divers sind die FinTechs intern aufgestellt? Welche Investoren investieren gezielt in Frauenteams? Wie sehen deren Portfolios aus?

Jessica Holzbach, Co-Gründerin von Penta

Zur Schaffung von mehr Transparenz schlägt sie die Etablierung eines öffentlichen Registers vor.

2. Geschlechterdiversität zur Voraussetzung für (öffentliches) Funding machen

„Interventionen müssen radikal sein und immer vom Geld herkommen, damit sich etwas im System verändert“

Dr. Carolin Gabor, Movinx Chefin

Im Sinne von „Geld regiert die Welt“ empfiehlt sich als sehr wirksames Mittel die Kopplung von Wagniskapital an ausreichende (Geschlechter-)Diversität in den Gründungsteams.

Nur so würde es gelingen, das Perpetuum Mobile aufzubrechen, in dem Männer weiterhin nur in Männer investieren.

3. Selbstverpflichtung der Branche zu mehr (Gender) Diversity erwirken

Auch von innen heraus wünschen sich die Interviewpartner/innen mehr Engagement für Diversität in ihrer Branche. Es würden derzeit zwar Beteuerungen gemacht werden, jedoch ohne ausreichende aktive Schritte zu gehen. Die Branche sollte sich hier über konkrete Ziele für die Erhöhung des Frauenanteils verständigen und die nötigen Maßnahmen zur Zielerreichung definieren und einläuten. Die Berlin Finance Initiative könnte hier zusammen mit den Branchenverbänden als Moderator, wenn nicht sogar als Treiber des Prozesses auftreten.

4. Talent-Pipeline konsequent und diskriminierungsfrei aufbauen

Um dem großen Fachkräftemangel in der FinTech-Branche entgegenzuwirken, müssen die Talente bereits im Ausbildungsalter konsequent aufgebaut werden. Kristina Walcker-Meyer schlägt eine gemeinsame Initiative der Finanzindustrie vor, um langfristig den Innovations- und Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Bereits in der Schulbildung müssen Jungen UND Mädchen stärker ans Programmieren herangeführt werden, in der Universitätslandschaft braucht es deutlich mehr Gründungszentren, um Entrepreneurship eine attraktive Karriereoption werden zu lassen. Insbesondere junge Frauen müssten noch stärker an diese Perspektive herangeführt werden.

In den Wachstums- und Professionalisierungsprozessen der FinTechs vom kleinen Startup zum etablierten Finanzplayer fehlt es den Unternehmen vielfach an Expertise, wie sie ihre internen Rekrutierungs- und Beförderungsprozesse sowie ihre Arbeits- und Karrieremodelle so gestalten können, dass sie für alle Beschäftigen gleichermaßen Chancen eröffnen. Wir bräuchten im Deutschen Startup-Verband eine Anlaufstelle, die uns bzgl. Diversity Management unterstützen könnte“, schlägt Jessica Holzbach vor. „Gerade am Anfang sind die Unternehmen zu klein, um alles selbst zu entwickeln.“ Ein professionelles Beratungsangebot könnte hier gezielt Unterstützung und gleichzeitig Möglichkeiten für Erfahrungsaustausch bieten.

5. Vernetzung in der Branche ausbauen und Gründerinnen-Fonds aufsetzen

Wachsende Angebote speziell für Frauen, z.B. Acceleratoren wie Grace oder die Initiativen fintexx oder Fintech Ladies unterstützen Frauen in ihren Gründungsambitionen und mit gezielter Vorbereitung auf Pitches. Zielführend wäre ein Ausbau dieser exklusiven Unterstützungsangebote auch in Form von Gründerinnen-Fonds, wie sie in den Parteiprogrammen der FDP, der Grünen und der SPD mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 vorgeschlagen wurden. Das Bundesministerium der Finanzen plant bereits einen solchen Gründerinnen-Fonds.

Für tragfähige Kontakte in der Branche sind Netzwerke in beide Richtungen wichtig. Somit wird beispielsweise bei Veranstaltungen von Payment Banking darauf geachtet, gleichermaßen Frauen wie Männer einzuladen.

„Wir schaffen bewusst Gelegenheiten für das Netzwerken in beide Richtungen. Auch bei der Panel-Besetzung achten wir darauf, dass wir keine all-male Panels mehr haben“

Miriam Wohlfarth, Serien-Mit-Gründerin von Ratepay, Banxware und Payment & Banking.

Die komplette deutschsprachige Kurzstudie hier zum Download

To the complete 2021 Diversity for Growth report (in english)

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